L.(I).E.B.E.N

Wunder

Es gibt ein Polaroidfoto meiner Mutter. Das muss etwa 39 Jahre alt sein. Dieses besondere Selfie zeigt sie, wie sie mir einen Brief schreibt. Damals hat sie für mich dieses Foto und einen Brief in den Umschlag gepackt. Es war der letzte Brief, den meine geliebte Mama mir geschrieben hat, denn danach wurde sie krank und starb.

Not macht erfinderisch

Ich habe, als ich erfahren hatte, dass sie sterben muss, den Brief und alle Fotos von Ihr weggepackt. In meiner emotionalen Notlage hielt ich das für eine gute Idee, aus der Angst heraus, nach ihrem Tod mit den Fotomomenten und Briefen emotional überfordert zu sein. Ich dachte mir, wenn ich meine lebendige Mutter nicht behalten kann, was machen dann die Fotos und Briefe erst mit mir, in meiner Trauer. Nie zuvor mit dem Tod konfrontiert, hatte ich eine unvorstellbare Angst vor meinem Erleben der Trauer. Ist das gut erklärt?

Wie auch immer vorgestellt, kam die Trauer dann in ihrer Realität für mich wirklich ganz anders in mein Leben. Es war nämlich so, dass in der ersten Phase all meine schönen Bilder und Erinnerungen überlagert waren, von den verstörenden Eindrücken der letzten Phase der Chemotherapie. Und alle schönen, lebendigen Erlebnisse mit meiner jungen, lebenslustigen Mutter, Freundin, Retterin in allen Nöten, waren mir auf einen Schlag nicht mehr zugänglich.

In meiner jetzt wirklichen Not, suchte ich die Briefe und Fotos, die ich versteckt hatte, vergebens. Und dabei brauchte ich doch so dringend ein Zeichen von ihr, das mir Halt geben konnte. Immerhin war ich einen Monat zuvor selbst zum ersten Mal Mutter geworden.

Ich habe mich tatsächlich wirklich nie wieder in meinem Leben derart verloren gefühlt, wie in diesen ersten Stunden, kurz nachdem meine Mutter tot war. Mit meiner panikartigen Suche nach den Bildern und Briefen befand ich mich vollkommen out of Order.

In der dunkelsten Stunde beginnt der Tag

Für mich nahm das Wunder Gestalt an, als ich schlussendlich in meiner dunkelsten Stunde, das oben beschriebene Polaroid wiederfand. Mit diesem Foto öffnete sich der Zugang wieder, zu der Kraft der Liebe zum Leben, die mir meine Mutter gezeigt hat. Ich stellte mir vor, was sie mir jetzt schreiben würde, wozu sie mir raten würde.

Heute gab es auch wieder so eine Situation, in der ich das Foto fand. Ich lasse mich immer wieder gern davon inspirieren, wie lebendig und lustig meine Mutter sein konnte und auch menschlich, verletzlich und ehrlich.

Wir sehen uns, Manu Dillenburg-Lux