Wunde Punkte

Barfuss gehen

Schritt für Schritt unterwegs, offen füreinander, miteinander in Kontakt, die Eigenheiten eines Jeden haben Raum und es gibt Zeit, jeden wertzuschätzen. Willkommen, in einer Gemeinschaft, die eine inklusive Haltung hat, welche dazu einlädt, den individuellen Beitrag eines jeden Menschen nicht nur zuzulassen, sondern sogar die besonderen Qualitäten fördert, die jeder mitbringt, für ein funktionierendes Gemeinschaftsleben.

Der Schuh drückt

Um diese Haltung der Inklusion zu beschreiben, sind die Begriffe Toleranz und Akzeptanz ungeeignet. Diese Begriffe gehen von der starren Position aus, es gäbe ein richtiges und ein falsches Sein und im Hintergrund steht die Idee, die Maßgabe von rigiden Regeln und Rahmenbedingungen für ein Miteinander seien notwendig. Diese Haltung führt den Fokus auf ein Dilemma mit sich, bei dem Defizite einerseits und eingleisige Lösungen andererseits vorgestellt werden. Jenseits dieses Dilemmas, im zwischenpersönlichen Miteinander befinden sich tatsächlich wundervolle, neue Möglichkeiten. Und das, gerade, weil die unterschiedlichsten Persönlichkeiten einander zu diesen Gemeinschaftsleistungen herausfordern und sich zu kraftvollen „Wir“ Erfahrungen aufschwingen.

Inklusion ermöglicht also die Entfaltung dieser Gemeinschaftsleistungen. Grundlegend dafür, ist das Vertrauen auf diese Potentialentfaltung, in einem insgesamt beweglicheren, ergebnisoffeneren System. Dieses Konzept lässt Raum für guten Austausch und guten Kontakt und für die Entfaltung neuer Initiativen, die für alle einen Gewinn darstellen.

Hier geht es um Wahrnehmen, Annehmen, Willkommen heißen. Also ist Inklusion eine bewusste Begegnung miteinander. Inklusion will verstehen, statt kolonialisieren. Es wird ein Rahmen hergestellt, der diese Begegnung gewaltfrei ermöglicht.

Die Gerechtigkeit entsteht hier erst durch die verschiedenartigen Brücken, die für die unterschiedlichen Menschen gebaut werden.

Weil zweifelsfrei alle Individuen in der gleichen Weise Wertschätzung im Miteinander zu erfahren verdienen, erarbeitet man auf diese Weise immer wieder, dass jeder der Anwesenden Raum bekommt. Raum- und Zeitqualität wird bewusst miteinander organisiert, für ein Leben in der Gemeinschaft individuell besonderer Bedürfnisse, Ansichten und Themen.

Das Ganze ist nicht nur mehr als die Summe seiner Teile. Es ist etwas Anderes, als die Summe seiner Teile. Etwas Neues! Nur Mut. Es ist ein Win Win. Lasst Eure alten Lösungsschablonen getrost los. Wir sind alle wertvoll und können alle zur Lösung betragen.

Im Inklusionsland kommt es also vor, dass Einzelne unterschiedlich Beistand, Betreuung, Erleichterung, helfende Hand, Hilfestellung, Kooperation, Rückendeckung, dieses Jemandem – eine Stütze sein, oder Support erhalten. Jeder so, wie er es beizeiten eben braucht, um seine Teilhabe zu erleben. Und diese ist hier, nicht nur sowieso anerkannt, sondern sogar erwünscht. In diesem Konzept ist die Aufgabe verwurzelt, sowohl den Einzelnen, als auch die Gemeinschaft im Fluss der Entwicklung zu beachten. Damit ist dann auch klar, wer sich auf die Gemeinschaft einstimmt und mitmacht, darf auch mitbestimmen. Das ist nachhaltig.

Auf diesem Weg wird dann etwa dem Einen, der neu in einer Gruppe ist, Empathie entgegengebracht, von den Anderen, sofern diese das können, da sie Verständnis für seine Orientierungsphase haben, in dem Bewusstsein, man war ja selbst mal in ähnlicher Anfangssituation. Empathie wird unterwegs auch zum Lernprojekt.

Denn, das alles erfordert Aufmerksamkeit für das, was zwischenpersönlich geschieht, mehr noch, eine Kontextsensibilität. Und diese macht Spaß miteinander, wie erfahren werden kann. Learning by doing. Es gibt Raum und Zeit für dieses Lernen. Mitunter ist es also immer mal wieder auch erforderlich, allen den Blick zu öffnen, für dieses Inklusionskonzept vom Leben miteinander.

Jede Anstrengung zahlt sich aus. Sie bringt den größten Gewinn mit sich, den es im Leben gibt. Ich sage das, weil ich es immer wieder erlebe, wo diese Haltung eine Gruppe von Menschen trägt. Das entspricht meiner Erfahrung absolut. Es gibt viele Worte dafür, Habseligkeit, Zufriedenheit, Lebensfreude, Sinnerfülltheit…You name it…Ich nenne es Liebe.

Da wird möglicherweise dem, der einen schlimmen Rücken hat, ein besonderer Tisch gewährt und er darf auch in Sitzungen, anders als alle anderen Gruppenmitglieder stehen. Einer bekommt am Tisch einen besonderen Platz, weil seine Augen nicht so gut funktionieren und er erst dann die Präsentation genau so gut sehen kann, wie die anderen. Während der Dritte manches Gesagte mehrfach hören muss, bevor er es sich merken kann. Und wieder ein anderer, hat eine unsichere Auffassung und braucht eben dreimalige Bestätigung seiner Nachfrage, um sicher zu sein, dass er es verstanden hat, wie es gemeint war.

Augenrollen

Und dann ist da noch der, dem es schwer fällt, auf solche Worte zu verzichten, die er rein aus Gewohnheit einfließen lässt und mit denen er bei den anderen aneckt, die er aber nie böse meint, wofür er bei den anderen, die im angemessenen Sprachgebrauch schon mehr Übung haben, stets viel mehr Zugeständnisse bekommt, als alle anderen Mitspieler.

Damit es funktioniert, das Zusammenspiel. Dazu das alles. Dazu bekommt jeder seine Kooperation, seine Rückendeckung, seinen auf ihn eigens zugeschnittenen Beistand – zu einer maximalen Entfaltung aller Potentiale miteinander.

Atempausen

Es ist gut, wenn Beistand, Betreuung, Erleichterung, helfende Hand für jeden unterschiedlich sind, solange die Maßgabe, die Zielstellung, die Richtschnur auf ein gemeinsames Ziel hin, für alle gleich ist.

Kommt diese Vision für das Zusammenleben in der Gemeinschaft aus dem Blick, drückt sicher bald schon irgendwo, irgendwem, irgendwie der Schuh.

Und bitte schön, wer sollte dieses Missachten des Gemeinschaftsgeistes, des Teamspirits, beizeiten benennen, wenn nicht der, der diesen Schmerz wahrnimmt.

Auszeiten

Wie sich mitunter der Schmerz zuerst äußert, bevor einem die passenden Worte und die Detailsicht dazu in den Sinn kommen, haben wir alle schon vielfach an uns selbst und im Umgang mit anderen erlebt.

In solchen Momenten führen wir uns in unseren wunderbaren Verhaltensoriginalitäten auf. Da schreit der Eine, da gibt der Andere dem Nächsten Tiernamen, da und dort wird gleich die ganze Sache verrufen, es werden Herr Gott und Herr Je angefragt, manchmal wird still für mehr Hirn gebetet und oder pantomimisch die persönliche Grenzerfahrung demonstriert.

Gelegentlich entlädt sich ein gewaltiges Energiepotential aufs Äußerste. Jeder so, wie er es kann.

Frustration aushalten können – auch das will gelernt sein.

Nichts geschieht ohne Kontext

Die wunden Punkte werden auch nicht im luftleeren Raum getriggert. Es gibt immer einen größeren Zusammenhang. Da ist ein Zusammenspiel aller miteinander.

Was steckt dahinter? Was passierte da gerade miteinander? Wie kann Nähe und Distanz für alle angemessen werden, damit jeder sich und das Gemeinschaftsleben gut wahrnehmen und mit teilen kann, mitteilen kann? Wenn ein wunder Punkt getroffen wurde und es gerade kein Zauberwort gibt, wirkt manchmal eine kleine freundliche Geste Wunder.

Und wenn es schlicht nur ist, dass man einwilligt, seinen Fuß vom Schlips des anderen zu nehmen, also anerkennt, dass man dem Anderen zu nah gekommen ist. Zeit geben, bis der Betroffene wieder benennen kann, was er braucht.

Manchmal sind die Protagonisten auch wechselseitig von einer Ahnungslosigkeit betroffen, was da jetzt los war. Mit der Nase an der Leinwand erkennst du nicht den Rembrandt.

Der Abstand zu solchen Ereignissen, bringt oft mehr Klarheit. Es lohnt sich am Miteinander festzuhalten und solche Schwierigkeiten gemeinsam zu überwinden. Wir lernen ja alle lebenslang. Bestenfalls sind wir offen dafür, einander die Hand zu reichen. Neue Informationen müssen an Bekanntem andocken. Da braucht der Empfänger unser Einfühlungsvermögen und Zeit, um Informationen zu verarbeiten. Mithin gibt es, bei aller Verschiedenheit, so viel Gemeinsames zu entdecken. Einige unserer Verhaltensweisen sind bei uns allen vor- oder unbewusst.

Lieben heißt, nicht um Verzeihung bitten zu müssen

Mit dem Verständnis einer inklusiven Grundhaltung sind wir am zwischenpersönlichen Geschehen interessiert, an dem, was für alle gut funktioniert und achten dabei auf die Stärken des Einzelnen, die sich in den Rückkopplungen erst in ihrer Wirkung entfalten. Es ist für alle immer wichtig, dass das, was alle miteinander verbindet im Blick bleibt. Und sei es eben dieser kleinste gemeinsame Nenner, dass wir alle empfindsame Menschen sind.

Und – meine Güte, ja, es ist schön, wenn einer dem anderen höflich sein *Pardon* zukommen lässt, sobald er die Einsicht gewonnen hat, dass er dem Anderen auf den Schlips getreten ist. Und manchmal ist es aber auch gut, einmal Fünfe gerade sein zu lassen. Und sich zu sagen: ein Bisschen Schwund ist auch immer. Dafür ist eben etwas Neues und etwas Anderes gewonnen.

Schmerz ist unvermeidlich. Leiden ist eine Entscheidung.

Finde die Freude, das ist das Motto inklusiver Haltung. Es ist nicht der andere, der Dich glücklich machen muss, dafür bist Du eben selbst kompetent. Und der Segen des Lebens liegt in der Gemeinschaft. Ohne sie kann niemand leben. Niemand.

Das ist sehr grob beschrieben, die Vernunft der Inklusion, die für ein faires Zusammenleben steht. Die Freiheit des Einen endet da, wo die Freiheit des Anderen anfängt, hat schon Herr Kant erkannt.

Verstehen statt Kolonialisieren

Demgegenüber steht die Ideologie der Integration. Sie verfolgt das Ziel einer Eroberung, an deren Ende Vereinnahmung und Veränderung eines vermeintlich minderwertigen Gegenübers stehen. Eine unangenehme Weltsicht, die unter bestimmten Bedingungen dazu führen kann, dass jemand, wie ein Auge, das nur noch sich selber sieht, die soziale Kompetenz vollkommen verliert. Wer so im Dunkeln tappt, ist manchmal dann nicht von uns zu retten, wenn er denn so dicht ist.

Solchen toxischen Typen kann ich nur Einhalt gebieten, indem ich mit dem Erkennen meines wunden Punktes aussteige und das Muster, das mir von ihm angeboten wird, nicht mehr mitmache. Das ist der erste Schritt zum Selbstschutz vor weiterer Zerstörung.

Ich bring Dich durch die Nacht

Wir sind alle in Ordnung, so wie wir sind. Wir brauchen miteinander einen Rahmen, in dem wir frei und friedvoll miteinander leben können. Für mich sind auch solche destruktiven Tendenzen besonders markante Gelegenheiten zum Selbstcoaching. Hier lerne ich mich abzugrenzen und klare Ansagen zu machen: Null Toleranz und null Akzeptanz für Gewalt.

Peace und wir sehen uns , Manu Dillenburg-Lux